Die Beerdigung einer Wortschöpfung

Der Wolf ist zurück in Deutschland. Das ist unbestritten. Nach dem Nachweis des ersten Rudels und der ersten Welpen in der Lausitz im Jahr 2000 war man sich sehr bald einig, dass diese Wölfe der nordostpolnischen/baltischen Population dieser Art entstammten. Die Euphorie über die Rückkehr einer für 150 Jahre nur sporadisch in Einzelexemplaren in DE aufgetretenen Art war anfangs ungeteilt. Ein einzelnes Rudel im fernen Osten Deutschlands im Umfeld eines Truppenübungsplatzes und aufgelassener Tagebaue hatte etwas Exotisches ferner Wildnis. Objektiv erwartete niemand das, was heute in DE geschieht, erst recht nicht, dass der Wolf sich binnen 15 Jahren bis an die Nordsee ausbreiten würde.

Die Euphorie sich ausbreitender Großraubtiere ist kein deutsches Phänomen. Auf europäischer Ebene widmeten sich Naturschützer und Wissenschaftler schon zuvor dem ergiebigen Thema. Im Jahr 2008 brachte die Large Carnivores Initiative Europe (LCIE) ein Papier (LINK) heraus, nach dem der Erhaltungszustand von Großraubtieren grundsätzlich auf Populationsebene zu bewerten sei. Darin wurden die europäischen Wölfe in 10 Populationen aufgeteilt (Grafik). Ob noch recht geringer Bestände in einigen Regionen ein plausibler Ansatz, der allerdings die Herkunft verschiedener Vorkommen und deren Nachbarn auch jenseits der Grenzen der EU nicht berücksichtigte. Auch das natürliche Ausbreitungsverhalten des Wolfes wurde seitens der Beteiligten offenbar ausgeblendet.

Junge Wölfe wandern aus dem Territorium ihrer Eltern ab, sobald sie geschlechtsreif sind. Sie suchen nach einem freien Revier und einem Geschlechtspartner. Bei diesen Abwanderungen sind alleine hier in Mitteleuropa Wanderwege von 700 km aus der Lausitz nach Dänemark und 1500 km nach Weißrussland belegt. Nichts anderes ist geschehen, als sich in den Neunzigern Wölfe aus Nordostpolen über Pommern auf den Weg in die Lausitz machten, dort erste Territorien besetzten und sich beiderseits der Neiße ausbreiteten. Wo sich geeignete Reviere fanden, wurden nach und nach Rudel gegründet. In der Sprache des Monitorings wurden weitere Rasterzellen besetzt, bis 2016 in der Lausitz ca. 40 Rudel oder Paare nachgewiesen wurden. In Polen westlich der Weichsel schlossen sich die Lücken zwischen den bekannten Rudelterritorien in ähnlicher Weise.

Die Herkunft dieser Wölfe war bekannt, sie war ebenso genetisch nachgewiesen (Czernomska et al. 2013) wie der genetische Austausch mit ihren Nachbarn (Senckenberg, V. Harms 2015). Angesichts noch großer Distanzen zwischen den ersten Rudelterritorien entlang von Oder und Neiße zu ihrem Ursprungsgebiet sprach man von einer isolierten Population, dies ungeachtet der bekannt großen Entfernungen, die Wanderwölfe zurücklegen können. Auch ein Name war bald gefunden:

Deutsch/westpolnische Flachlandpopulation“,

dieser erwies sich nicht als sehr haltbar, so entstand die

Mitteleuropäische Flachlandpopulation, MEFP

oder

Central European Lowlands Population, CELP“,

bis 2016 als letzte Wortschöpfung auf diesem Gebiet die

Zentraleuropäische Population, ZEP

eingeführt wurde.

Alleine, es waren immer noch dieselben Wölfe mit demselben genetischen Ursprung, der sog. baltischen Wolfspopulation. Diese wiederum definiert ihren östlichen Rand nicht etwa genetisch, sondern an der Ostgrenze der EU zu Russland. Ein Umstand, der den Wolf recht wenig interessieren dürfte, denn der östliche Rand dieser Population liegt am Ostrand Eurasiens, am Pazifik. Mangels vorhandener oder vergleichbarer Monitoringsysteme ist es müßig, sich bei dieser Metapopulation über einen Gesamtbestand von 40 - 60.000 Wölfen zu streiten. Politische Grenzen haben die Ausbreitung des Wolfes nur solange limitiert, wie diese zum Schutz totalitärer Systeme vermint und verdrahtet waren. Dies ist sein nunmehr über 25 Jahren nicht mehr der Fall. Diese, vor allem für die davon betroffenen Menschen glücklichen Entwicklung hat auch der Wolf perfekt genutzt. Strenge Gesetzgebung und gesetzestreues Verhalten der Bürger in der EU haben dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet. Das Ausbreitungsgebiet seines nordosteuropäischen Vorkommens hat der Wolf seit 1990 vom Ostteil Polens aktuell bis an die Weser erweitert. Ein Ende dieser Ausbreitung ist nicht in Sicht. Ein Zusammentreffen nordosteuropäischer und italienischer Wölfe und deren Vermischung in DE ist recht bald zu erwarten. Angesichts aktueller Diskussionen über Herkunft und Hybridisierung italienischer Wölfe darf man seine Zweifel haben, ob dies dem Artenschutz nordosteuropäischer Wölfe dienen kann (LINK - L. Boitani). Auch deren alpine Ausdehnung bedarf heute nicht mehr des Titels „Population“.

Was den Artenschutz angeht, so gilt der Wolf nach den Roten Listen der IUCN auf europäischer Ebene schon sehr lange nicht mehr als gefährdet (LINK). Die dieser Quelle zu entnehmenden Angaben über regionale Vorkommen wie in DE datieren aus 2006 (LINK). Man täte gut daran, sie zu aktualisieren, wenn die Rote Liste nicht zur Mottenkiste verkommen soll. Eine Art, deren Bestand unter Vollschutz pro Jahr um 35 % anwachsen kann, kann in 10 Jahren den zwanzigfachen Bestand erreichen. Nichts anderes hat uns der Wolf in DE wie im Westteil Polens vorgeführt.

Werden die Dogmen von isolierter Population und prioritärer Art mit höchstem Schutzstatus nach den Anhängen II und IV der FFH-Richtlinie gedankenlos weiter gepredigt, gehen Artenschutz und Wolf vor die Hunde. Dies mit allen negativen Begleiterscheinungen für die übrige Natur und unsere Kulturlandschaft.

Eines hat uns Meister Isegrim bereits nachgewiesen:

Die in aller Ahnungslosigkeit vor Rückkehr der Großprädatoren geschaffenen Richtlinien und Gesetze sind insbesondere dem Wolf nicht gewachsen. Er wird sie nicht fressen, aber geflissentlich ignorieren!

Den Wolf können wir nicht ändern, aber wir sollten wenigstens ehrlich mit ihm umgehen. Das beginnt damit, dass wir das Kind beim Namen nennen.