Verkehrte Welt der Wölfe

Was muss in unserem Land noch geschehen, damit langsam das Verständnis einsetzt, dass die Kombination von Wolf und dicht besiedelter Kulturlandschaft zwingend zu heftigen Konflikten führt? Diese Konflikte – und hier hat der Wolf sein Potenzial bei weitem noch nicht ausgeschöpft, wurden bisher offiziell verkannt und bei Auftreten auch gerne verleugnet. Wer davor warnte, wird auch heute noch belächelt oder gleich als Wolfshasser verschrien. Wer davon betroffen war, hatte sich falsch verhalten oder entsprechende Richtlinien nicht befolgt.

All jene Szenarien, die uns der Wolf im Herbst 2013 liefert, wurden von eben diesen Warnern zuvor beschrieben, seien es Wolfsrisse an Nutztieren in angeblich wolfsfreien Gebieten, die nur deshalb als solche bezeichnet werden konnten, weil dort kein aktives Monitoring stattfand, oder sei es ein schwerer Verkehrsunfall, der durch in Panik ausbrechende Pferde verursacht wurde. Dieser bislang erste Unfall mit schweren Personenschäden, der nach heutigem Kenntnisstand durch Wölfe in oder an einer Pferdekoppel verursacht wurde, stellt eine neue Dimension dar. Die gleiche Ursache musste zwar bei weniger folgenschweren Herdenausbrüchen zuvor vermutet werden, jedoch konnte oder wollte man den entsprechenden Nachweis nicht führen.

Alleine, weil auch nicht sein kann, was nicht sein darf, wird ein entsprechendes Gutachten von ideologisch gefestigten Landespolitikern ungelesen als Stimmungsmache der Jäger verdammt. Ein ebenso bemerkenswerter Nachweis der Sachkenntnis wie die Stellungnahme des Kontaktbüros Wolfsregion Lausitz, wo man bisher Pferde doch für so groß und wehrhaft hielt, dass sie Wölfe abwehren würden. Dem klassischen Fluchttier Pferd – warum hat es so ausgeprägte Sinne und so ein Laufvermögen? – ein Verteidigungsverhalten gegen Raubtiere andichten zu wollen, zeugt von einer arg dünnschichtigen Ausbildung für diese Tätigkeit. Dass von dieser Stelle die offizielle Lesart zum Wolf in Sachsen verbreitet wird, erzeugt Bedenken.

Je weiter der Wolf in Deutschland in Regionen mit intensiver Weidehaltung vordringt, um so wahrscheinlicher und häufiger wird es zu solchen Unfällen kommen. Hier ist allein bei dem betroffenen Pferdezüchter von einem Schaden in Höhe von € 70.000 die Rede. Vom Leid der Unfallopfer und deren Vermögensschäden spricht man nicht. Auch die Versicherungen werden sich in Zukunft Gedanken machen, wie solche Risiken abzudecken sind, wobei klar ist, dass die Abdeckung letztlich durch den Versicherungsnehmer durch seinen Beitrag erfolgt.

Selbstverständlich gibt es für all diese Probleme und Risiken sehr einfache Lösungen – einfache Lösungen waren schon immer beliebt in diesem Land! Wie kann es denn ein Tierhalter wagen, seine Tier des nachts auf der Weide zu lassen? Was fällt diesen faulen Leuten denn ein, so verantwortungslos zu handeln? Geschieht das bisher nicht Vorstellbare – hier auch noch in einem offiziell wolfsfreien Gebiet – sind sie die Schuldigen und erdreisten sich auch noch, Schadenersatz zu fordern.

So einfach sind die Lösungen derer, die den Wolf aus der kuschligen Umgebung ihrer Stadtwohnung so außerordentlich romantisch finden. Sie sind intellektuell nicht in der Lage, sich mit dem Leben draußen auf dem Lande auseinanderzusetzen und zu verstehen, welchen zusätzlichen Arbeitsaufwand sie hier von den Menschen fordern, die gerade mit der kleinräumigen Landwirtschaft und Tierhaltung einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt unserer Landschaft beitragen. Dass in zunehmendem Maße auch Biolandwirte mit Freilandhaltung betroffen sind, wird aus dieser weltfremden Perspektive erst dann nachvollziehbar sein, wenn deren Produkte sich weiter verteuern oder nicht mehr lieferbar sind. Es eint die Vertreter dieser einfachen Lösungen, dass keiner von ihnen Verantwortung dafür trägt, geschweige denn für deren ökologische und ökonomische Folgen aufzukommen hat.

Wollte man die Forderungen dieser selbsternannten Gutmenschen umsetzen, so darf sich Deutschland zu einem gigantischen Zoo entwickeln – mit Mensch und Nutztieren in den Gehegen und Isegrim als Wärter und Besucher.

Dass solche Forderungen weder vernünftig noch durchsetzbar sind, haben internationale Fachleute bei IUCN und LCIE schon vor Jahren erkannt. Auch namhafte Vertreter der deutschen Wolfszene waren an der Erarbeitung entsprechender Papiere beteiligt. Die dort verfassten Texte hat man vorsichtshalber gar nicht erst ins Deutsche übersetzt und konsequenterweise auch nicht umgesetzt.

(Quellen: IUCN – Manifesto for Wolf Conservation in Übersetzung hier. LCIE – Guidelines for Population Level Management Plans for large Carnivores 2008, auszugsweise Übersetzung hier)

In diesen Dokumenten findet sich, und dies in völligem Einklang mit der immer wieder zitierten FFH Richtlinie 92/43, ein völlig anderer Ansatz zum Umgang mit den großen Beutegreifern, insbesondere mit dem Wolf.

Nicht nur, dass man von einer sorgfältigen Abwägung ausgeht, wo und in welcher Dichte eine solche Art leben kann und soll, nein, auch deren Regulierung ist, sofern ihr Bestand dadurch nicht gefährdet wird, eine Selbstverständlichkeit. Dies wären die Ziele, die in deutschen Managementplänen für den Wolf zu stehen hätten, wollte man internationalen Standards und Zielen folgen, aber nein,

„Wir wollen hier unsere eigenen Erfahrungen machen!“

und

„Wir stehen mit der Forschung zum Wolf ja erst ganz am Anfang.“

Diesen fundamentalen Erkenntnissen steht die Tatsache gegenüber, dass es sich mit dem Wolf und die wohl am umfassendsten erforschte Art der nördlichen Hemisphäre handelt. Dies ist den für das Wolfsmanagement insbesondere in Sachsen Verantwortlichen täglich erneut vor Augen zu führen.