Brief aus Niedersachsen - ein Gastkommentar
Augenmaß verloren
Er ist bis 34 cm lang. Ausgewachsen so leicht oder schwer wie ein oder zwei Stück Butter. Ein süßes Kerlchen. Eigentlich ein Sympathieträger. Auch er ist streng geschützt. Gehört mit zu den Tierarten in Anhang IV der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und ist in der Berner Konvention Anhang II benannt. Unser buntestes europäisches und heimisches Pelztier: Der Hamster.
Dieses kleine possierliche Tierchen verdient wahrlich die Sorge des Artenschutzes. Für ihn ist nämlich bald ultimo. In Teilen Deutschlands ist er schon ausgestorben. Auch in Niedersachsen steht er mit dem Rücken an der Wand. Er hat kein Feldhamsterbüro, keine 800.000 Euro im Niedersächsischen Haushaltplan 2016/17 aus dem Steuersäckel, keine Feldhamsterexperten in Hannover, keine Feldhamsterberater und beamtete Feldhamsterveterinäre, die ihn im Hamster-Krankenwagen mit Wärmedeckchen umtüteln. Und Privatpatient aus Steuergeld ohne Wartezeiten beim MRT ist er auch nicht.
Er dagegen hat dieses alles. Bis zu 1,60 m lang ist er. Die größten seiner Art leben in den Waldzonen Lettlands, Weißrusslands, Alaskas und Kanadas. Mit einer Schulterhöhe bis etwa 80 Zentimeter und einem Gewicht bis zu 80 Kilogramm. Groß, robust. Nicht so süß anzuschauen wie der kleine Körnerfresser lebt er hier seit Jahren in Freuden, vermehrt sich eifrig und sieht allen Prognosen zu Folge einer rosigen Zukunft entgegen. Und er wird - warum auch immer herausgehoben aus den geschützten Tierarten - mit allen Segnungen des Artenschutzes überschüttet. Das größte Raubtier aus der Familie der Hunde: Der Wolf.
Warum diese Begeisterung nicht auch für unseren kleinen Feldhamster? Oder gibt es eine Mehrklassengesellschaft im Natur und Artenschutz? Groß vor klein? Robust und stark, vor zart und schwach?
Außer dem Wolf gibt es noch viele andere wildlebende Tierarten, große und kleine, gefiederte oder behaarte. Über 40 Prozent davon sind in die Gefährdungskategorien der roten Liste eingestuft. Insgesamt droht, dass bei uns fast ein Drittel der Wirbeltierfauna verschwinden könnte. Eidechsen und Nattern sind nicht gerade die besten Beispiele, um Mitleid oder Begeisterung zu erregen. Dabei hätten auch sie es verdient. Von den 12 Kriechtierarten in Deutschland ist mehr als die Hälfte dem Tode geweiht. Auch bei unseren Vögeln sieht es nicht viel besser aus. Jede 8. Vogelart kämpft ums Überleben. Jede 2. ist bedroht. Bekassine, Haubenlerche, Uferschnepfe Birkhuhn, Kiebitz, Rebhuhn der Wachtelkönig und unsere Feldlerche gehören dazu (LBV). Sie habe ich früher oft in den Himmel steigen sehen, seit Jahren nun nicht mehr. Es sind auch Tiere, die arg in Bedrängnis gekommen sind. Auch sie stehen unter der Obhutdes Artenschutzes!
Diese Widersprüchlichkeit eines Wolfsschutzes ohne Augenmaß wurde mir wieder mal so richtig bewusst vor einigen Wochen. Da stand ich mit einem Tierhalter auf seiner kleinen Weide. Sie lag eingebettet in eine Wohnsiedlung, direkt daneben ein großer Kinderspielplatz. Zwei Schafböcke hatte er dort laufen….. gehabt. Die Kinder auf dem Spielplatz ihre Freude daran. Sie gefüttert. Und weil diese kleine Weide auch noch so richtig natürlich war, auch Vögel, Schmetterlinge, Käfer und Insekten und die eine oder andere Eidechse dort beobachten können. Naturkunde vor der Haustür vom Feinsten.
Das eine Schaf lag nun tot auf einer Schubkarre mit einem riesigen Loch in der Keule, das andere noch auf der Weide. Kein schöner Anblick. Weil man unschwer weg sehen konnte auf das, was sich dort abgespielt haben musste. Der zerrissene Tierkörper zeigte den Todeskampf dieses Tieres. Es waren nur zwei Schafe und nur auf einer kleinen Weide in Niedersachsen. Wer aber in die Augen dieses Menschen gesehen hat, der seine Tiere verloren hat, konnte erahnen, dass in dieser Wolfsnacht mehr getötet wurde, als nur die zwei seiner Schafe. Auch deshalb, wie die angereiste junge Dame und der Herr vom NLWKN Wolfsbüro aus Hannover mit diesem Tierhalter umgegangen sind. Kein Gespräch, kein einziges Wort des Mitleids oder Bedauerns. Den Tatort besichtigt und als wieder mal eine Fallzahl für die amtliche niedersächsische Riss-Statistik aufgenommen. Bürokratisch kalt ohne jede Bürgernähe. Augenmaß sieht anders aus. Zwei Schafe nur, aber sie waren diesem Hobbytierhalter ans Herz gewachsen. Er hat getrauert. Auch die Kinder. Denn Schafe werden dort nicht mehr laufen. Diese ihre kleine Naturkundeerlebniswiese ist Geschichte.
Bei meinen Wanderungen durch unsere Natur komme ich oft an Weiden und der einen oder anderen kleinen Wiese mal vorbei. Ich staune immer wieder, wie viele Vögel und welche ihrer Arten darauf zu beobachten sind. Auch Rehe, die zwischen den Mutterkuhherden umher bummeln oder Füchse und Dachse, die im Ökosystem "Kuhfladen" nach fetten Mistkäfern kratzen. Dann frage ich mich, wie es sein wird? Wenn irgendwann hundertprozentig wolfssicher die niedrigen Stacheldrahtzäune durchZaunbauwerke ersetzt worden sind, die hermetisch jeden Zugang von außen auf diese Weiden verhindern. Vielleicht dann noch mit tausenden von Volt stromgesichert. Eine abschreckende Vorstellung.
Und nicht weniger, wenn ich dann noch an die großen extensiv beweideten Grünlandlandflächen in unserer Region denke. Sollen tatsächlich allein der Wölfe wegen diese unsere letzten weitgehend oder besonders "natürlich gepflegten" Landschaftselemente mit Wolfsbollwerken abgesperrt werden? Mit Barrieren, die vielen anderen wildlebenden Tieren - großen wie kleinen -den Zutritt zu diesen Lebensräumen verwehren? Von Seiten des Natur- und Artenschutzes wird auf der einen Seite ein derartiges Verbarrikadieren unserer Landschaft vehement bekämpft, für den Wolf, als Schutz gegen ihn, aber eingefordert. Paradox, oder?
Erschreckend auch die Vorstellung, der eine oder andere Weidetierhalter könnte das Handtuch werfen. Weil er kapituliert. Ihn die Wolfsabwehrmaßnahmen in die Knie gezwungen haben. Aufgeben? Oder wieder Aufstallen? Also kein Vieh mehr auf den Weiden? Wie die nach ein paar Jahren aussehen, kann man allerorts dort betrachten, wo große oder kleine Weidetierhalter verschwunden sind, ihre Grünländereien aufgegeben haben.
Verlorene Lebensräume, diese so wichtigen Trittsteine in unserer Landschaft. Verloren als Netzwerk für die Artenvielfalt. Deshalb sind vor allem und besonders auch die kleinen Weidetierhalter nicht bedeutungslos.
Aber auch etwas Anderes bewegt mich immer mehr, wenn ich vor so einer Weide stehe. Die Tierhaltung steht heute überall im Fokus. Artgerecht soll sie sein. Von Tieren essen, die zumindest bis zu ihrem Tod auf dem Schlachthof noch ein bisschen frei und natürlich leben konnten, steht heute hoch im Kurs. Es ist für mich ohne Augenmaß, allein eines wilden Tieres wegen, des Wolfes, dieses Wenige an noch möglicher artgerechter heimischer Tierhaltung auszuhebeln. Fleisch dann vielleicht nur noch von Tieren essen zu können (müssen), die in Turbomastanlagen hochgeputscht wurden und dann von Fleischvermarktungsketten zu Billigpreisen auf den Markt geworfen werden. Von Tieren, die nur einmal die Sonne gesehen haben. Wenn sie aus ihren Mastverließen in Verlade-LKW getrieben werden. Von Tieren, die stunden-oder tagelang durch Deutschland gekarrt werden, um dann endlich in der Betäubungsbox mit 16 bar einen Metallbolzen in den Schädel gerammt zu bekommen. Ist das die Zukunft mit Wolf?
Es soll kein Vorwurf sein an die, die in diese Zwangsjackeindustrieller Fleischproduktion gesteckt wurden. Nur aufzeigen, wie die umweltpolitisch verordnete grenzenlose Freiheit für die Wölfe das zunichte macht, was immer mehr Menschen als artgerechte Nutztierhaltung einfordern.
Neben meinem Schreibtisch wächst ein Stapel Papier. Zeitungsberichte, Veröffentlichungen, Pressemitteilung des Niedersächsischen Umweltministeriums und was ich sonst noch für wert halte aufzubewahren, packe ich dazu. Auf 90 cm ist mein Berg an Wolfspapier gewachsen. So hoch wie der erste hoch gepriesene Wolfsschutzzaun in seiner Höhe. Schafe wären so effektiv zu schützen. Die Gefahr vom Wolf gefressen zu werden, sei damit gebannt. Und für Rinder findet sich in alten Zeitungsberichten als verkündete Experten-Wolfsweisheit: Keine Gefahr. Die bilden eine Wagenburg und kein Wolf wagt sich dann ran. Und überhaupt, man würde gar nicht merken, dass der Wolf wieder da ist. Wie ein Sechser im Lotto, ihm mal zu begegnen, sagten die Wolfsexperten. Dazu klatschten Rot-grüne Lokalpolitiker in strammer Gefolgschaft zu ihrer Regierung in Hannover tosenden Beifall.
Wer damals die Festreden zur Rückkehr der Wölfe kritisierte, wurde in die Ecke der Rotkäppchenerzähler weggesperrt. Die Wolfsexperten wussten es besser und alles. Ein Diskurs verweigert, kritische Stimmen totgepredigt. Die Sichtweise der Landbevölkerung zum Thema Wolf prallte gegen ein Bollwerk akademisch abgehobener Besserwisserei. Deshalb kein Wunder, wenn mittlerweile viele Menschen auf dem Lande gar nicht mehr zu hören wollen. Ihnen überdrüssig geworden ist, mit geistigen Ergüssen und statistischer Argumentationsakrobatik zum Thema Wolf in Schrift und Wort zugeschüttet zu werden. Und auch nicht mehr als Saalfüller benutzt werden wollen, den Wolfsweissagungen zu lauschen. Um danach zu erleben, dass die Wolfs-Wirklichkeit ganz anders aussieht.
Die Wölfe zeigen eindrucksvoll was und wie sie wirklich sind, ihre artgemäße natürliche Lebensweise. Egal ob Weiden aufgerüstet werden, mit oder ohne Hochspannung, Eseln oder Herdenschutzhunden. Die Wölfe finden ihre Wege hinein zu den Eingepferchten nach gewisser Zeit dennoch. Jedermann weiß inzwischen auch, dass Wölfe-"global" betrachtet - keine vom Aussterben bedrohten Tiere sind. Im Gegensatz zu den Mufflon in der Göhrde, die sie liquidiert haben. Dass Wölfe keine Wildnis brauchen und sich bestens an von Menschen besiedelte Lebensräume anpassen wird täglich erlebt. Sie streifen auch in den Dörfern herum. Ein Umstand der entlarvt. Wer sich von der Wolfspolitik derart hinters Licht geführt fühlt, wird vorsichtig und misstrauisch. Das Vertrauen ist futsch!
Deshalb ist es den meisten Menschen in den Wolfsregionen völlig egal, ob ihre Wölfe nun zu der oder jener Population gehören. Und auch, warum Canis Lupus mit der Niedersächsischen oder Deutschen Unantastbarkeitsmedaille ausgezeichnet worden ist. Ihnen vom grünen Tisch aus Hannover erzählen zu wollen, wie sie in Eintracht mit Wölfen leben können gleicht dem Versuch, für ländliche Schützenfeste Bier und Bratwurst zu verbannen.
Als Jäger schwillt mir der Kamm, wenn manche Politiker als rettenden Ausweg aus einer gegen die Wand fahrenden niedersächsischen Wolfspolitik"Pulver und Blei" ins Spiel bringen. Jäger als Wolfsliquidatoren? Blitzableiter? Damit sie die Suppe auslöffeln, die Andere gekocht haben? Um dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich übelste Beschimpfungen, wenn nicht noch Schlimmeres, auf sich zu ziehen?
Jagdrecht und Naturschutzrecht sind zwei Rechtskreise, die sich bedingen und auch ergänzen können. Unserem Umweltminister ist im Rahmen der Natur- und Artenschutzgesetzgebung jede Möglichkeit eröffnet, eine gerade Wolfsfurche zu ziehen. Er kann in die Wolfspopulation eingreifen lassen, Wölfe töten lassen. Offenkundig scheut er diese Möglichkeiten wie der Teufel das Weihwasser. Niedersachsen wählt demnächst. Ein Schelm der Böses dabei denkt.
In unserer dicht besiedelten und intensiv genutzten Landschaft sind die "Freiheitsrechte" aller unserer wildlebenden Tiere zwangläufig eingeschränkt -wie die unseren -leider. Aber das ist nun mal so. Denn wir leben nicht in Kanada mit 4 Menschen auf einem Quadratkilometer sondern in Niedersachsen mit 166 auf dieser Fläche. Der Wolf kann unsere Artenvielfalt bereichern. Dazu sind klare Rahmenbedingungen zu schaffen mit Grenzen seiner Besiedelung in Anzahl und Regionen. Wie für jede andere wild lebende Tierart, die zusammen mit uns, unseren Bedürfnissen und Lebensformen in unserer “Legoland”-Landschaft lebt, leben kann und soll. Wer das verneint und von einer "grenzenlosen" Freiheit nur für Wölfe träumt, ist für mich ein Phantast.
Nicht die grauen Räuber auf den vier Pfoten sind also das wirkliche Problem. Sondern jene blauäugigen Menschen, die mit missionarischem Eifer den ländlichen Raum Niedersachsens für Wölfe umgestalten und die Wölfe umerziehen wollen. Dabei ihre abwegigsten Standpunkte als alternativlos darstellen und beharrlich die Wirklichkeit ausblenden. Das Augenmaß verloren haben. Niedersachsen ist dafür ein Paradebeispiel.
Autor RW