Neue alte Zahlen

Unter der Überschrift „Aktuelle Wolfszahlen: Bundesweit 128 Rudel bestätigt“ veröffentlichte das Bundesamt für Naturschutz Ende Oktober die Ergebnisse des Monitoringjahres 2019/20, welches am 30.04.2020 endete. Die fundamentale Erkenntnis der BfN-Präsidentin dabei: „Der Wolfsbestand in Deutschland nimmt zu,“ bedarf weder eines Professorentitels noch einer großrahmigen Pressemitteilung, Sekundarstufe I hätte gereicht.                                                                                            Nun hat es sich in dieser Behörde zur schlechten Gewohnheit entwickelt, der Öffentlichkeit mit schöner Regelmäßigkeit Zahlen zu präsentieren, die bei Erscheinen schlicht überholt sind. Sie geben das Bild des Sommers 2019 wieder. Die nächste, wiederum um ca. 30 % größere Generation Wolfswelpen ist inzwischen in den Territorien unterwegs. Was 2019 aufgewachsen ist, befindet sich spätestens mit Beginn der Ranzzeit im Januar auf Wanderschaft und Suche nach Rudelpartnern und neuen Territorien.

Dabei sind die tatsächlich veröffentlichten Zahlen eigentlich irrelevant, weil erstens mit einer erheblichen Dunkelziffer behaftet und zweitens aus dem Trend der Vorjahre unschwer vorhersehbar. Hier der Vergleich der offiziellen Zahlen der vorangegangenen Jahre:

 


 

Quelle: Daten der DBBW vom 02.11.20, rückwirkender Zuwachs der Bestandszahlen ist zu erwarten

Erstaunlich, dass die Behördenchefin angesichts eines fallenden Trends nicht gleich in Alarmismus verfiel und das erneute Aussterben des Wolfes in Deutschland an die Wand malte. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass unterschiedliche Zahlen keine tatsächliche Schwankung im Bestandszuwachs, sondern vielmehr einer sehr unterschiedlichen Qualität des Monitorings geschuldet sind. Es ist davon auszugehen, dass die für das abgelaufene Monitoringjahr angegebenen Zahlen bei weitem nicht die Realität in den Wolfsgebieten wiedergeben.

Ist schon der methodische Ansatz des Wolfsmonitorings, wie in den BfN-Skripten 251 und 413 niedergelegt, ausgesprochen kompliziert und für eine hochmobile wie vermehrungsfreudige Art wenig geeignet, so scheint in einigen Bundesländern ein Unwille zu bestehen, zeitnah klare Ergebnisse zu veröffentlichen.

Sicher obliegt es den einzelnen Bundesländern, im Rahmen des Föderalismus und der im Naturschutz geltenden Länderhoheit ihr eigenes Süppchen zu kochen, aber wird das der Aufgabe für eine Art gerecht, deren Bestand, geschweige denn Erhaltungszustand, sich aufgrund ihrer Lebensweise nicht in einem doppelten Raster von Ländergrenzen und biogeografischen Regionen bewerten lässt? So wird der Blick aufs Ganze vernebelt und überdies von offizieller Seite mit einem Zeitversatz von einem Jahr dargestellt.

Dieser Ansatz wird konsequent bis hin zur Berichterstattung nach Artikel 17 der FFH-Richtlinie an die EU verfolgt, bei der man im aktuellen Bericht 2019 die ermittelten Vorkommensdaten für 2015/16 und 2016/17 zugrunde legte. Selbstverständlich hat man auch dabei konsequent die drei biogeografischen Regionen, in die Deutschland aufgeteilt ist, getrennt bewertet.  Nun ist die biogeografische Lebensraumbewertung durchaus wichtig, für die Arten, deren Bestand explizit vom jeweiligen Lebensraum abhängig ist. Für die Beurteilung des Erhaltungszustandes der Art Wolf, die sich entgegen aller Voraussagen als höchst flexibler Nahrungs-und Habitatsgeneralist erwiesen hat, ist sie gegenstandslos und bestenfalls da von Bedeutung, wo aus den Amtsstuben einer wirklichkeitsfernen und ideologischen Bürokratie heraus Zahlen zusätzlich fragmentiert werden sollen.

Seit die „Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf“ (DBBW) ihren aktiven Betrieb aufgenommen hat, lassen sich anhand der dort wiedergegebenen Daten jederzeit Qualität und Informationsdrang der mit dem Wolfsmonitoring betrauten Stellen in den Bundesländern ablesen. Werden aus einigen Landesteilen neue Erkenntnisse fast ohne Verzug nach Görlitz gemeldet, machen sich allen voran Brandenburg und Sachsen-Anhalt einen Sport daraus, so spät und so wenig wie möglich an Informationen herauszugeben. Zugegeben ist es eine echte Aufgabe, bei 2019/20 offiziell 57 bzw. 21 Wolfsterritorien im Land den Überblick zu behalten, aber Größe und Wachstum des Wolfsbestandes sind dort schon länger bekannt und das Monitoring ist eine Verpflichtung, der die Länder nachzukommen haben.

Anderswo funktioniert es nur unwesentlich besser, wobei sich Bayern und Mecklenburg-Vorpommern gleich mal die Veröffentlichung aktueller Riss- oder Nachweislisten schenken. Alle Jubeljahre eine Pressemeldung ist keine angemessene Information betroffener Tierhalter über das aktuelle Geschehen im Land. Brandenburg veröffentlicht seine Risslisten im Schnitt vier Wochen nach Quartalsende, wobei man manches Ereignis vergeblich sucht, über das aktuell in der Lokalpresse berichtet wurde. Offenbar ist da vielerorts der Draht zwischen Tierhaltern und Wolfsmonitoring einschließlich Rissbegutachtung abgerissen, weil man sich nicht mehr versteht oder verstehen will.

Niedersachsen und Sachsen geben, was Transparenz und Aktualität im Monitoring angeht, derzeit in Deutschland den Standard vor, was nicht heißen soll, dass es nicht noch deutliche Verbesserungsmöglichkeiten gäbe. Auch dort wäre es an der Zeit, seit langem adressierte Mängel in der Rissbeurteilung und der Übermittlung von Monitoringdaten abzustellen.

Dass nur ein Höchstmaß an Transparenz im Umgang mit dem Wolf letztlich zu seiner Akzeptanz bei dem Teil der Bevölkerung führen kann, der täglich mit ihm umzugehen hat, sollte mittlerweile allen Beteiligten klar sein. Welche Bundesländer diesen Grundsatz beherzigen, lässt sich jederzeit auf den interaktiven Karte der DBBW unter diesem Link abrufen: 

https://dbb-wolf.de/Wolfsvorkommen/territorien/karte-der-territorien

Für das laufende Monitoringjahr ergibt sich da im Vergleich zwischen Niedersachsen und Brandenburg ein gewisser Unterschied:

Auch nach zwanzig Jahren Wolf in Deutschland ist festzustellen, dass die mit seiner Verwaltung befassten Ämter und Behörden bis hin zum Bundesamt für Naturschutz noch immer nicht verstanden haben, dass ein wirkliches Wolfsmanagement anders funktioniert. Dafür ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Verwaltung, Wissenschaft und betroffener Bevölkerung, insbesondere der Weidetierhaltung, Grundbedingung.

Die wesentlichen Bremsklötze sind dabei der in diesem Land sonst hoch geschätzte Föderalismus und noch mehr die bestimmende Kraft verantwortungsfreier und vom Geschehen nicht betroffener Verbände.


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