In den vergangenen Wochen begegnet uns im Zusammenhang mit Wölfen, die völlig unbefangen in der Nähe unserer Dörfer auftauchen ein Phänomen, welches man in der Fachliteratur vergeblich sucht:
DIE NATÜRLICHE SCHEU DES WOLFES!
Weder für den Wolf noch für andere Wildtiere lässt sich dieses Verhalten als angeboren nachweisen. Vielmehr zeichnen sich Wildtiere überall da, wo sie vom Menschen nicht verfolgt oder vergrämt werden, durch zunehmende Vertrautheit aus. Es beginnt mit den Piepmätzen am Vogelhaus auf der Terrasse, setzt sich fort mit den Enten am Dorfteich, die lautstark ihre Brotration von Spaziergängern einfordern. Schon interessanter wird es, wenn sich Fuchs, Waschbär und Marder an Kompost, Mülltonne und Hundefutter delektieren. Teilweise werden sie wie der Igel auch gezielt gefüttert.
Ach ja, die sind ja alle so niedlich, bis Waschbär und Marder in der Dachisolierung Einzug halten und dort Party machen. Spätestens dann, wenn Stadtschweine nicht nur im Berliner Grunewald in Gärten Inventur machen, nimmt der Spaßfaktor deutlich ab. Wildschweine verursachen regelmäßig in Stadtrandgebieten Schäden und gefährliche Situationen, die für sie im Ernstfall letale Konsequenzen haben. Angesichts der Anzahl dieser Tiere für jedermann selbstverständlich und gesellschaftlich (bis auf vegane Ausnahmen) akzeptiert. Gerade zum Verhalten der Wildschweine hat Heinz Meinhardt eindrucksvoll beschrieben, wie er sich mit Trabbi und Futtereimer zu „seinen“ Sauen begab und dank aktiver Bestechung mit Leckereien als akzeptiertes Rottenmitglied ein Lehrbeispiel der Habituierung von Wildtieren vorführte.
Wie gut Wolf & Co mit solchen Angeboten umgehen können, zeigen Bilder von „Spaghettiwölfen“, die italienische Müllkippen revidieren und die Stadtwölfe im rumänischen Brasov. In nordamerikanischen Nationalparks ist es aus gutem Grund streng verboten, jegliche Wildtiere, insbesondere Wölfe und Bären zu Füttern. Tiere, die sich an solches Fehlverhalten der Besucher gewöhnt haben, werden von den Rangern dort rigoros entnommen.
Warum all diese Vorgeschichte?
Schwein und Wolf, dieser in der Domestikation zum Hund gezüchtet, zählen zu den frühesten Haustieren des Menschen, die diese Rolle nicht nur unter Zwang angenommen haben, d.h. sie haben in ihrer Wildform bereits Eigenschaften, die eine Gewöhnung an den Menschen, eine Habituation, fördern. Der Hund darf über die Jahrtausende das Erfolgsmodell als Wächter, Jagdhelfer und Kamerad des Menschen gesehen werden. Das Schwein, wirtschaftlich deutlich erfolgreicher, trägt dabei seine Haut zu Markte. Wildschwein und Wolf sind die Paradebeispiele dafür, dass zu viel Nähe zwischen Wildtier und Mensch in unserer Kulturlandschaft zu schwer lösbaren Konflikten führen muss. Was für Wildschweine am Stadtrand gesellschaftlich als akzeptiert angenommen werden darf, wird uns seit der Rückkehr des Wolfes für diesen, dank seiner natürlichen Scheu (?) als undenkbar deklariert.
Überall dort, wo Wolf, Mensch und Kulturlandschaft aufeinandertreffen, entstehen Konflikte, die alleine mit der Änderung menschlichen Verhaltens und Wirtschaftens nicht lösbar sind. Länder, in denen der Wolf nicht zwischenzeitlich ausgerottet war und wo man es historisch nicht verlernt hat, mit ihm umzugehen, erledigen dies pragmatisch und ohne Aufhebens. Dort gehört es in aller Selbstverständlichkeit dazu, dass Wölfe auch bejagt werden, ohne ihren Bestand dabei zu gefährden. Ohne dieses Vorgehen zum heutigen Zeitpunkt auf Deutschland oder Polen übertragen zu wollen, ist dabei nicht von der Hand zu weisen, dass regelmäßig bejagte Wölfe auch regelmäßig negative Erfahrungen mit dem Menschen machen. Alleine dies führt bereits dazu, dass sie die Nähe zum Menschen und seinen Haustieren nicht regelmäßig suchen und auch nicht als leicht zugängliche Nahrungsquelle nutzen.
Die Erfahrung des Bösen im Menschen kann dem Wolf nur nützen!
Ohne die negative Erfahrung der Vergrämung, oder wenn dies nicht helfen sollte, des anschließenden Fehlens von Rudelmitgliedern nach einem Besuch an der Schafskoppel, wird der Wolf den Duft von Schafen weiter mit einem leckeren und bequemen Abendessen verbinden. Dies dient weder den Schafen noch dem Schutz des Wolfes. Sicher gibt es Schutzmaßnahmen, die unter optimalen Bedingungen sehr wirksam, aber bei weitem nicht in allen Gebieten praktikabel sind. Werden dem Wolf die erforderlichen Grenzen nicht aufgezeigt, die ihm alleine den erforderlichen Respektsabstand zu menschlichen Strukturen zeigen, werden auch noch so tolerante Landbewohner in Wolfsgebieten seine Nähe nicht als Bereicherung empfinden. Ungeachtet unterschiedlich qualifizierter Diskussionen über die Gefährlichkeit des Wolfes für den Menschen ist von seinen Befürwortern zu akzeptieren, dass die Nähe eines Wolfes nur bei sehr wenigen Menschen positive Gefühle auslöst.
Es gilt nicht nur, den Wolf als Wildtier zu respektieren. Es gilt vielmehr, ihm seine Grenzen in unserer Kulturlandschaft aufzuzeigen, wenn er überhaupt eine Chance haben soll, von den Menschen akzeptiert zu werden, die ihr ländliches Lebensumfeld mit ihm teilen und ggf. sogar im Hinblick auf seine Gegenwart umzugestalten haben.
Wer dem Wolf in diesem Land eine Chance geben will ist verpflichtet, ihm auch die erforderliche Scheu zu erhalten, die ihn dann ganz natürlich von uns fernhalten kann. Dieser Aufgabe sollten sich die lautstarken Befürworter des bedingungslosen Wolfsschutzes in Deutschland schnellstens und glaubhaft stellen.