TIEFENENTSPANNT ?!

- Gastkommentar anstatt eines Leserbriefes -

Mit dem Artikel „Das Märchen vom Wolf“ wollte der Verfasser den Lesern des ZÜCHTERFORUM 6/2017 seinen tiefenentspannten Blick auf die Thematik vermitteln.

Da ich mich durch den Artikel als Pferdehalterin im Wolfserwartungsland Schleswig-Holstein klar angesprochen fühle, möchte ich mit meinem Blick auf die Rückkehr und Ausbreitung der Wölfe in Deutschland antworten: Ungenaue Zahlen durch ungenaue Zahlen zu vernebeln ist einer angestrebten nüchternen Betrachtung nicht dienlich. Die angegebenen Zahlen im Artikel beziehen sich auf das Monitoringjahr 2015/2016. Sie wurden für diesen Zeitraum inzwischen deutlich auf über 70 nach oben korrigiert. Die Zahlen zu einem Gesamtbestand der Wölfe in Deutschland werden in offiziellen Veröffentlichungen vermieden.

Pferderipperereignisse aus Mitte der 90er Jahre und die damals großen Sorgen der Pferdehalter auf die nicht eindeutig dem Wolf zuzuordnenden Vorfälle in den verschiedenen Bundesländern mit Rudelterritorien vergleichen zu wollen hinkt gewaltig. In diesem Zusammenhang von Daten und Fakten in den Risslisten des niedersächsischen NLWKN zu schreiben, führt angesichts mehrfach nachgewiesener Fehlstellen darin sowie massiver Konflikte um die Ergebnisse von Rissbegutachtungen in diesem Bundesland - auch und gerade bei Kälbern, Fohlen und Ponies - an der Sache vorbei. Wenn Pferdebesitzer Verletzungen oder Verluste mit deutlichen Anzeichen auf die Einwirkung von Raubtieren dem Monitoring melden, was ausdrücklich erwünscht ist, werden sie häufig mit Rissbegutachtern konfrontiert, deren Hintergrund in den Naturschutzverbänden jegliche Neutralität vermissen lässt. Dies ist dabei ein nicht nur für Niedersachsen zutreffendes Phänomen.

Eine halbstündige Recherche des Verfassers führt zu der Forderung, die Zuchtverbände mögen sich vermehrt mit dem Thema Weidesicherheit befassen. Viel wichtiger wäre in diesem Zusammenhang die Ursachenforschung, warum diese Pferde ausgebrochen sind und ob dies in bekannten Wolfsgebieten oder in Regionen mit vermehrt auftretenden Wanderwölfen geschehen ist. Genau jene Kollateralschäden werden ebenso schwer eindeutig dem Wolf zuzuordnen sein, wie dem Täter die grausamen Taten eines Pferderippers. Nur, dass der Wolf eine nachweislich jährliche Zuwachsrate von 36% aufweist und innerhalb kürzester Zeit auch in Regionen Deutschlands zugegen sein wird, wo die Wahrnehmung noch weitestgehend tiefenentspannt ist.

Wer über Kategorien europäischen Artenschutzes und dessen Auslegungen schreibt, sollte diese auch kennen. Richtig ist, dass der Wolf in Deutschland eine nach Anhang IV der FFH-Richtlinie streng geschützte Art ist. Richtig ist aber auch, dass EU-Recht und deutsches Recht entsprechende Ausnahmen zum Schutz des Menschen und seiner Nutztiere vorsieht. Deren Anwendung ist derzeit heftig in der Diskussion. Wenn angesichts der Entwicklung der Wolfspopulation langfristig eine Umstufung in den Anhang V der FFH-Richtlinie gefordert wird, so kann dies nur eine logische Konsequenz aus dem für Jedermann wahrnehmbaren Geschehen sein.

Das angeführte Beispiel zu friedlicher Koexistenz zwischen etwa 600 Warmblutpferden und 300 Rindern auf einer Naturschutzfläche in Thüringen in quasi wolfsfreiem Streifgebiet einer einzelnen Wölfin, fernab von dichten Rudelterritorien, zeugt ebenfalls von lückenhafter Auseinandersetzung mit den eigentlichen Problemen unserer Pferdehaltung in den sich rapide vergrößernden Wolfsgebieten. Der Vorfall im April 2016 in der Oranienbaumer Heide in Sachsen-Anhalt, wo ebenfalls auf Naturschutzflächen als Landschaftspfleger eingesetzte Koniks von Wölfen angegriffen wurden, verdeutlicht wozu Wölfe, wenn sie mindestens zu zweien jagen, in der Lage sind: drei Fohlen wurden nachweislich von Wölfen gerissen, ein weiteres Fohlen musste im Nachhinein eingeschläfert werden und zwei Fohlen gelten als verschwunden. Die zwei Fohlen, die aufgrund des Angriffes verletzt wurden, haben den Angriff mit Hilfe des Tierarztes überlebt. Die Geschäftsführerin für das Beweidungsprojekt des Nabu-Köthen erklärte im Nachhinein, dass „man die Verteidigungsfähigkeit der Stuten gegenüber Wolfsangriffen zu optimistisch eingeschätzt hätte.“ - Tiefenentspanntheit kann ich mir als Pferdehalterin mit Pferden und Ponies in ganzjähriger Weidehaltung nicht leisten.

Die Rudelterritorien und Wolfsgebiete werden sich in den nächsten Jahren rapide über ganz Deutschland ausbreiten und somit die begründeten und ernst zu nehmenden Sorgen meiner Züchter- und Reiterfreunde ebenfalls. Wanderwölfe können daher bereits heute im ganzen Land auftreten. Dies beschränkt sich nicht auf vermeintlich einsame Landstriche, wie Vorkommnisse u.a. am Stadtrand von Bremen belegen.

Tiefenentspanntheit sollten wir nicht mit Ahnungslosigkeit verwechseln.

Nachsatz der Redaktion: Der Originalartikel im Züchterforum ist online nicht verfügbar und kann aus Gründen des Urheberrechts hier nicht veröffentlicht werden. Lesermeinungen werden in dieser Zeitschrift generell nicht veröffentlicht.