Wir modellieren Deutschland als Wolfshabitat

In einer groß angelegten Studie im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN)

„Habitatmodellierung und Abschätzung der potenziellen Anzahl von Wolfsterritorien in Deutschland“, veröffentlicht als BfN-Skript 556, 

wurde im vergangenen Jahr nicht die erste Rechnung dieser Art vorgestellt. Danach soll es in Deutschland Raum für 700 – 1400 Wolfsterritorien geben. Die Autoren berufen sich dabei primär auf Telemetriedaten von 20 Wölfen, die in den letzten 10 Jahren für Zeiträume zwischen 2 Monaten und 2 Jahren im Nordosten unseres Landes besendert wurden. Die von diesem Wölfen genutzten Territorien befinden sich ausnahmslos in den bereits früh und heute in hoher Dichte besiedelten Regionen Nordostdeutschlands auf einer Gesamtfläche von ca. 60.000 km² mit einem klaren Schwerpunkt in der sächsischen Lausitz. Das Landschaftsbild dort ist durch aktive wie aufgelassene Tagebaue und militärische Liegenschaften geprägt. Die Vorliebe für derartige Lebensräume ist nicht nur bei den ersten aus der Lausitz abgewanderten Rudelgründern in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen abzulesen. Auch nachweislich später aus Polen zugewanderte Wölfe fanden überwiegend Gefallen an diesen Lebensbedingungen. Die Territorien waren weitgehend störungsarm, wenn nicht menschenleer und Beute war in den jagdlich und forstlich nur teilweise bewirtschafteten Flächen reichlich vorhanden.  Es waren und sind für Wölfe erstklassige Wohnlagen.

Die dem BfN-Skript 556 vorangegangenen Studien und Modelle sollen nicht ungenannt bleiben:

  • Hertweck (2006) in BfN-Skript 201 „Leben mit Wölfen“[1]
  • Eggermann (2009) Dissertation „The impact of habitat fragmentation by anthropogenic infrastructures on wolves (Canis lupus)[2]
  • Knauer (2010 unveröffentlicht) Rahmenplan Wolf Kap. 4

Diesen drei Arbeiten ist gemeinsam, dass zum Zeitpunkt ihrer Erstellung erst sehr wenig über die genetische Struktur des sich in Ostdeutschland und Westpolen etablierenden Wolfsvorkommens bekannt war. Dafür wurde aber zuerst eine „Deutsch-westpolnische Wolfspopulation“ und später die „Mitteleuropäische Flachlandpopulation oder Central European Lowlands“ (CEP) des Wolfs postuliert, die durch die IUCN bis heute als „Population“ mit separatem Erhaltungszustand geführt wird, ohne klar von ihrer Quellpopulation abgrenzbar zu sein.

Beide Bezeichnungen haben zu durchaus kontroversen Diskussionen in der damit befassten Wissenschaft geführt. Erst die Arbeiten von Stronen et al. (2013)[3] und Czarnomska et al. (2013)[4] haben in diesem Punkt mehr Klarheit gebracht, was die Habitatpräferenz der sich aus dem Nordosten Polens ausbreitenden Wölfe angeht. Sie hatten auf ihrem Weg nach Westen ebenso wenig Neigung, sich in bewaldete Mittelgebirge zu begeben, wie die Karpatenwölfe die flacheren und zu dieser Zeit wolfsfreien Gebiete Zentral- oder Westpolens besiedeln wollten. Die Trennung dieser Bestände belegt sich nach den oben genannten Arbeiten bereits aus der eindeutigen genetischen Differenzierung. Bis heute ist in Deutschland kein „Karpatenwolf“ genetisch nachgewiesen.

Die hier beschriebenen Fakten waren bei Erstellung des BFN-Skript 556 allgemein bekannt und verfügbar. Von daher ist es unverständlich, wenn der jetzt vorliegende Text sich wie seine Vorläufer ausschließlich auf eine Habitatbewertung für ganz Deutschland konzentriert, ohne dabei im Geringsten das Ausbreitungsverhalten der Wölfe in Deutschland in den letzten 20 Jahren einzubeziehen. Das wiederum lässt sich in aller Klarheit an den Verbreitungskarten der DBBW ablesen, die bis heute eine klare Abgrenzung entlang einer Linie von Dresden den Autobahnen A4/A14 bis A2 nach Nordwesten folgend erkennen lassen. Die Ausnahmen davon bis zur Herausgabe der Arbeit sind an einer Hand abzuzählen und können mit ihrem geringen Beitrag zu Verbesserung des Erhaltungszustandes auf dieser Seite der DBBW[5]beobachtet werden:

Ohrdruf – 2014 Ansiedlung einer Fähe aus dem Rudel Spremberg, anschließend von 2017-19 drei Würfe mit Hybriden, bis 2020 die Rudelgründung mit einem Wolfsrüden erfolgt. Der Verbleib der Hybriden ist nicht abschließend geklärt.

Bayerischer Wald/Sumava – 2017 erste erfolgreiche Verpaarung zwischen Alpiner Population und CEP

Veldensteiner Forst – 2018 erste erfolgreiche Verpaarung von zwei Wölfen aus Nordostdeutschland in deutschen Mittelgebirgen

Schermbeck – Ansiedlung einer Fähe aus Schneverdingen am Nordrand des Ruhrgebietes mit erheblichen Nutztierschäden, 2020 Rudelbildung mit einem Rüden aus gleichem Rudel.

 

Die Ausbreitung in den letzten 10 Jahren zeigt auch, dass für eine erfolgreiche Rudelgründung nicht die Entfernung die entscheidende Rolle spielt, sondern vielmehr ein Lebensraum, der dem Ursprungsterritorium entspricht. Das ist an den Rudeln in Ulfborg (DK) und Veluwe (NL) in flachen Wald- und Heidelandschaften sowie Leopoldsburg (B) als Militärgelände bestens ablesbar. Ihre Gründer haben sich in Entfernungen von über 500 km zielsicher in einem vertrauten Lebensraum angesiedelt. Sie haben mit den Füßen abgestimmt.

Auch die Wölfe aus der Alpenpopulation haben den deutschen Mittelgebirgsraum noch nicht recht für sich entdeckt. Die bisher in Deutschland nachgewiesenen Exemplare waren sämtlich Rüden und nur einer von ihnen hat im Bayerischen Wald ein Rudel gegründet.

Von daher ist auch die aktuelle Habitatmodellierung vom Ansatz her in Frage zu stellen, weil es die Wölfe, die danach vermeintlich geeignete Lebensräume in den deutschen Mittelgebirgen rechnerisch besiedeln sollen, nicht gibt. Wölfe aus anderen Gebieten werden sie als weniger geeignete Territorien erst dann besiedeln, wenn sie in ihrem vertrauten Lebensraum keine Reviere mehr finden können, weil diese besetzt sind.

Welche Schäden entstehen, wenn Wölfe auch nur zeitweilig weniger geeignete Regionen besiedeln oder durchwandern, die von der Weidewirtschaft geprägt sind und in denen wenig natürliche Beute vorkommt, lässt sich beispielhaft an den von Wolfsübergriffen betroffenen Nutztieren ablesen:

Schleswig-Holstein (nur Kreise NF, HEI, IZ, PI 2016-20):  über 850 Tiere durch Wanderwölfe

Niedersachsen (nur Rudel Cuxhaven 2012-17): 159 Tiere, davon 30 Rinder

Niedersachsen (Kreise EL, CLP, OS 2018-2020):  893 Tiere (Rudel Herzlake und Werlte)

Niederlande (2020):   87 Risse, 287 tote Tiere, Schäden werden dort überwiegend von Wanderwölfen verursacht

Diesen Gefahren mit der z. Zt. geforderten flächendeckenden „wolfssicheren“ Verdrahtung allen Weidelandes in Deutschland begegnen zu wollen, hätte nicht nur wirtschaftlich einen hohen Preis. Die ökologischen Folgen einer derart kleinräumigen Zerschneidung der Landschaft würden fast allen Zielen des Natur- und Artenschutzes im Offenland zuwiderlaufen. Eine Vielzahl streng geschützter Lebensräume ist von einer extensiven Beweidung und ihrer Vernetzung abhängig. Sie brauchen die Weidetiere.

Den Wolf brauchen sie definitiv nicht. Er ist eine ernste Gefahr für ihre Erhaltung.

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[1] https://www.bfn.de/themen/artenschutz/gefaehrdung-bewertung-management/management-von-grossraubtieren-in-deutschland.html

[2] Eggermann (2009) Dissertation „The impact of habitat fragmentation by anthropogenic infrastructures on wolves (Canis lupus)

[3] Stronen et al. (2013) North-South differentiation and a region of high diversity in European wolves (Canis lupus)

[4] Czarnomska et al. (2013) Concordant mitochondrial and microsatellite DNA structuring between Polish lowland and Carpathian Mountain wolves

[5] https://www.dbb-wolf.de/Wolfsvorkommen/territorien/karte-der-territorien