Billy the Kid
Es ist sehr selten, dass der Weg eines nicht besenderten Wanderwolfes dokumentierbar ist, es sei denn, er sorgt selbst dafür. Im vergangenen Jahr ist das einem Nachkommen des Rudels Herzlake gelungen, indem er in knapp acht Monaten in vier Ländern Weidetiere so riss, dass er als Verursacher bestätigt werden konnte.
Das Herkunftsrudel des Jährlingswolfes GW1554m in Niedersachsen ist seit längerem für eine hohe Zahl an getöteten Weidetieren bekannt, ohne dass dieser Rüde dort an Rissen nachgewiesen wurde. Er startete seine Wanderung nach Nordosten in die Wesermarsch, eine schalenwildarme Gegend, wo ihm binnen sechs Wochen acht Risse mit 40 Schafen zuzuschreiben waren. Wieder gen Westen ging es vorbei an Oldenburg mit weiteren 21 Schafen und einem Rind als Wegzehrung in Richtung Niederlande.Dort begann in der Provinz Gelderland eine Serie von 19 Rissen mit 99 betroffenen Schafen und zwei Rindern binnen sechs Wochen, die sich über die Provinz Brabant bis in die belgische Provinz Antwerpen zog.
Nach diesem Beutezug hatte er den Namen Billy erhalten. Die Anlehnung an „Billy the Kid“ muss dabei nicht zufällig sein.
Knapp drei Wochen später wurde er viermal nach Rissen an Schafen und Kälbern in der bis dahin fast wolfsfreien Eifel nachgewiesen, um nach weiteren drei Wochen in den südwestlichen Vogesen einen neuen Beutezug zu beginnen Dort fielen ihm binnen sechs Wochen weitere 20 Schafe und 16 Jungrinder zum Opfer.
Am 23. September wurde Billy dort von den Lieutenants de Louveterie abgeschossen.
Eine bis dahin beispiellose Rissserie eines Einzelwolfs über siebeneinhalb Monate und über 1000 km (Luftlinie) mit 37 Rissereignissen und 209 betroffenen Tieren war beendet. Der Verlauf der Blutspur lässt sich auf dieser Karte nachvollziehen:
Was können wir daraus lernen?
Zuallererst, dass der strenge Schutz des Wolfes in Mitteleuropa dazu geführt hat, dass es objektiv keine wolfsfreien Gebiete mehr gibt, wenn man von den Inseln absieht.
Entgegen vielfacher Forderungen aus einschlägigen Verbänden ist es Zeit zu verstehen, dass ein passiver Herdenschutz mit Zäunen bestenfalls zeitweise wolfsabweisend, aber nie wolfssicher sein kann. Auch ein wolfsabweisender Herdenschutz ist nur unter Idealbedingungen darstellbar, d.h. es wird für Wölfe immer die Gelegenheit geben, das Erbeuten von Weidetieren zu erlernen. Das gilt in besonderem Maße für Regionen mit wenig natürlicher Nahrung in Form von Schalenwild und für Stadtränder, wo es viele Hobbyhaltungen auf kleinen Koppeln gibt. Pauschale Schuldzuweisungen an Weidetierhalter sind hier fehl am Platze. Entsprechende Forderungen wolfsschützender Verbände sind weder fachlich qualifiziert noch praktisch umsetzbar. Die Politik täte gut daran, sie sich nicht unüberlegt zu eigen zu machen.
Aktiver Herdenschutz kann, wo es möglich und bezahlbar ist, durch Herdenschutzhunde dargestellt werden. Wolfsmanagement muss aber gerade im Sinne des Herdenschutzes auch aktiv verstanden werden, d.h. die Wölfe oder Rudel, die erkennbar Weidetiere auf ihren Speiseplan setzen, dürfen in unserer Kulturlandschaft nicht toleriert werden. Frankreich hat dieses Vorgehen in seinen Managementplan für den Wolf aufgenommen und geht im Einklang mit der FFH-Richtlinie so vor.
Vor gefräßigen Einzelwölfen wie Billy kann man die Weidetierhaltung nicht schützen, wenn man Mitteleuropa nicht zu Lasten vieler anderer Naturschutzziele meterhoch verdrahten will. Auswertungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass weniger als die Hälfte der zu dieser Zeit bestehenden Wolfsrudel in wesentlicher Zahl Weidetiere rissen.
Die „bessere“ Hälfte würde für das Erreichen des günstigen Erhaltungszustandes völlig ausreichen.
Deutschland steht mit seiner regional sehr hohen Wolfsdichte, die eine verstärkte Abwanderung von Jungwölfen zur Folge hat, gegenüber seinen Nachbarn in einer besonderen Verantwortung.