Die Vorlage zum Eigentor - Thüringen stellt sich ein Bein

Kleine Anfragen der Opposition können, zur passenden Zeit geschickt gestellt, Leben in den parlamentarischen Alltag und ungelöste Probleme der Regierenden auf den Punkt bringen. Das setzt voraus, dass wenigstens der oder die Fragesteller das Problem erkannt haben.

Nun hat sich in Thüringen ein Beispiel dafür zugetragen, dass solche Anfragen auch dann ihren Zweck erfüllen können, wenn beide Seiten etwas anderes gemeint und dabei den Kern des Themas nicht wirklich verstanden haben. Es ist nachzulesen in der Drucksache des Thüringer Landtages 7/2748:

Zurückgezogene Abschussgenehmigung für „Ohrdrufer Wölfin“, hier herunterzuladen.

Die Fragesteller beschränken sich im Vergleich zur bekannten Anwesenheit der „Ohrdrufer Wölfin“ und den ersten dort nachgewiesenen Wolfsrissen im Juli 2017 nur auf das zweite Halbjahr 2020, obwohl es davor bereits 135 Nutztierrisse mit 337 betroffenen Tieren im Territorium  gegeben hatte, bei denen die Fähe GW267f oder ihre Nachkommen potentiell beteiligt waren. Andere Wölfe wurden dort bis zum Auftreten ihres aktuellen Rudelpartners im Frühjahr 2019 nicht nachgewiesen. Eine Dokumentation darüber, welche Individuen an welchen Rissen beteiligt waren bzw. nachgewiesen wurden, hat man bis dato nicht veröffentlicht. Dass es diese Dokumentation gibt und sie der Öffentlichkeit vorenthalten wurde, belegt die Anlage 1 der Landtagsdrucksache. Schon die Tatsache, dass die Angaben zum Ergebnis der 2. genetischen Analyse mit der Bestimmung der beteiligten Individuen in den allgemein zugänglichen Listen der Nutztierrisse fehlen, lässt Fragen nach der Seriosität des Thüringer Wolfsmanagements zu.

Wenn an Rissen keine Beprobung vorgenommen wird, bei denen in der Rissbegutachtung kein anderer Verursacher als der Wolf sicher festgestellt wurde, ist hier vom gezielten Versuch der Vertuschung auszugehen.

Anmerkung dazu: Transparenz geht anders. Man war offenbar politisch daran interessiert, dem öffentlichen Ansehen der Ohrdrufer Wölfin nicht zu schaden.

So verteilen sich bisher die Rissnachweise rund um den TÜP Ohrdruf:


Die Fragestellung der Abgeordneten greift insgesamt zu kurz. Wollte man die Entwicklung des Beuteverhaltens der Ohrdrufer Wölfin, zuerst als alleinerziehende Mutter und dann als Leittier eines Hybridenrudels einschätzen, wäre die Schadensentwicklung über den gesamten Zeitraum zu betrachten. Dazu hätte zwingend gehört, dass ab 2017 die vollständigen Daten der Risslisten mit allen Ergebnissen einzufordern sind. Diese wären dann mit den in dieser Zeit eingeführten Herdenschutzmaßnahmen bis hin zum hinterfragten Einsatz der Herdenschutzhunde abzugleichen. Ein Zeitfenster von 6 Monaten reicht dafür nicht aus. Ohnehin scheint es seitens der Verantwortlichen weder Kenntnisse über die Wirksamkeit der eingeleiteten Maßnahmen noch ein Interesse an deren Überprüfung zu geben. Man gibt dort zwar Geld aus, aber ob diese Ausgaben sinnvoll sind, scheint nicht zu interessieren. Wer berät mit welcher Kompetenz die betroffenen Tierhalter. Will man auch das nicht wissen? Man sollte wenigstens wissen, wen man damit beauftragt hat.

Mit der ordentlichen Buchführung hat man es bei der Dokumentation des Wolfsgeschehens in Thüringen wohl nicht. Den Beleg dafür bringt die Anlage 2 mit der Auflistung der bisher bekannten Wolfsnachweise in Thüringen, wenn man die Einträge im Detail betrachtet und sie mit den Risslisten abgleicht. Seit 2013 werden 43 Positionen aufgeführt, bei denen 14 Individuen nach den durch das Institut Senckenberg vergebenen sog. GW-Nummern erfasst sind. Nicht darin enthalten sind die offiziell 11 „Wolf-Hund Mischlinge“, die pauschal zu zwei Daten am 11.10.2017 und 23.07.2019 erfasst wurden, wobei davon je Wurf zwei Tiere als verschollen gelten und Hinweise über einen weiteren Hybridenwurf 2018 nicht aus der Welt zu schaffen sind. Wann sie wo erlegt und wo sie ggf. in der Zwischenzeit nachgewiesen wurden, geht aus den Anlagen nicht hervor.

Was sich dort sonst so findet:

  1. Pos. 27: GW1416m wurde lt. Anlage 2 am 29.09.2019 in Schalkau genetisch nachgewiesen. Lt. Rissliste aus dem Jahr gab es dort am 24.09.19 einen Nutztierriss, bei dem lt. Rissliste die Beprobung abgelehnt wurde.
  2. Pos. 28: GW1414m wurde lt. Anlage 2 am 31.10.2019 in Deicheroda genetisch nachgewiesen. Die Rissliste 2019 weist unter Nr. 94 als Ergebnis der Rissbegutachtung „kein Wolf“ aus. Die Genetik brachte es an den Tag.
  3. Pos. 29: GW1452m wurde am 23.11.2019 in Thierbach-Lössau erstmals genetisch nachgewiesen. Am gleichen Tag steht dort der Riss von zwei Schafen mit dem Befund „kein Wolf“ zu Buche.

Man mag es kleinreden, es sind ja „nur“ drei Fälle in acht Jahren, aber der dreimal ….

Den Listen der Nutztierrisse der vergangenen Jahre scheint man im zuständigen Kompetenzzentrum keine besondere Bedeutung beizumessen, beginnen doch die Dateinamen mit einem Hinweis, der ihnen keine lange Zukunft zuzubilligen scheint, hier ein Beispiel:

kann_geloescht_werden_Nutztierrisse_Thueringen_im_Jahr_2019_Stand_2020_04_21.pdf

Falls es dort entsprechende Unfälle geben sollte, die www.wolfszone.de hat die Daten der vergangenen Jahre vorsorglich gesichert.

Nach den öffentlichen Nebengeräuschen der vergangenen Jahre im Thüringer Wolfsmanagement wird erneut deutlich, dass im zuständigen Ministerium und den damit befassten Teilen der Verwaltung nicht die geringste Absicht oder gar Fähigkeit besteht, die mit der Ausbreitung des Wolfes einhergehenden Probleme seriös anzugehen, geschweige denn, die betroffene Bevölkerung darüber jederzeit offen und ehrlich zu informieren. Es scheint wichtiger zu sein, der eigenen Klientel zu gefallen und den brüchigen Burgfrieden mit aggressiven NGO’s nicht zu gefährden.

Die schriftliche Anfrage der Abgeordneten war eher ein Schuss ins Blaue, aber sie war die Vorlage für eines der politischen Eigentore dieses Jahres.

HOME                                                                                                      DRUCK