Deutschland und der strenge Schutz der Arten – eine schwierige Beziehung

Das Verhältnis Deutschlands zur Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) von 1992 kann nicht als einfach bezeichnet werden. So dauerte es immerhin bis 2007, als man sich hierzulande bequemte, dieses europäische Gesetz erst nach einem Urteil des EuGH in deutsches Recht umzusetzen.

Über die Gründe für diese Verzögerung darf heute bestenfalls noch spekuliert werden. Fakt ist aber, dass man an einigen Stellen exzessiv von dem Recht als Mitgliedsland Gebrauch gemacht hat, eine Richtlinie der EU nicht buchstabengetreu umzusetzen. Es lohnt auch nicht, Jahre später nach den Ursachen und Verursachern des Problems zu suchen, welches wir im Gegensatz zu anderen EU-Ländern wie Finnland, Frankreich, Schweden und jetzt auch Österreich haben. Dort ist man auch angesichts deutlich geringerer Wolfsbestände in der Lage, den günstigen Erhaltungszustand der Art festzustellen und bei Bedarf nicht nur zum Herdenschutz, sondern auch regulierend in den Bestand einzugreifen.

Der Schutzstatus des Wolfes in den Anhängen II und IV der FFH-RL kann also nicht der Grund sein. Er ist in den genannten Ländern gleich.

Folgt man der Definition des gültigen Erhaltungszustandes nach Artikel 1 i (Zitat):

i) „Erhaltungszustand einer Art“: die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in dem in Artikel 2 bezeichneten Gebiet auswirken können.

 Der Erhaltungszustand wird als „günstig“ betrachtet, wenn

— aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, daß diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird, und

— das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird und

— ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern.

 ist ungeachtet der regelmäßig stark verzögerten Veröffentlichung teilweise unvollständiger Monitoringdaten aus den Bundesländern festzustellen, dass der Wolf in Deutschland schon seit mehreren Jahren den günstigen Erhaltungszustand erreicht hat.

Das Bundesumweltministerium folgt hier jedoch nicht der FFH-RL, sondern erklärt auf seiner Internetseite LINK sehr ausführlich, dass der Wolf in Deutschland erst dann den günstigen Erhaltungszustand erreicht haben kann, wenn, Zitat:

„Auf den Wolf übertragen, lässt sich der günstige Erhaltungszustand wie folgt formulieren: Wölfe leben jetzt und auch in Zukunft überall dort, wo sie von Natur aus leben können; der Lebensraum und das Nahrungsangebot jetzt und auch zukünftig wird ausreichen, um das Überleben der Wölfe langfristig zu sichern.“

Verkürzt, wenn auch im letzten theoretisch möglichen Territorium Wölfe nachgewiesen sind.

Der Staatsrechtler Prof. Dr. Michael Brenner schreibt hierzu in einem kürzlich erschienenen Gutachten, Zitat:

„Indes lassen sich dem Unionsrecht Anhaltspunkte für ein so weitgehendes Verständnis des „günstigen Erhaltungszustands“ nicht entnehmen. Insbesondere als Voraussetzung für die Erfüllung des günstigen Erhaltungszustands die Vorgabe zu formulieren, dass sich Wölfe auch in bislang vom Wolf nicht besiedelte Gebiete ausbreiten müssen, lässt sich weder aus der FFH-RL noch aus Entscheidungen des EuGH entnehmen, auch nicht andeutungsweise. Daher handelt es sich bei dieser Interpretation um die Sicht der Dinge eines Ministeriums, der indes Rechtsverbindlichkeit nicht zukommt. Allein einer Auslegung des Begriffs durch den EuGH kommt Relevanz zu, ist doch ausschließlich dieser letztverbindlich dazu berufen, unbestimmte Rechtsbegriff des Unionsrechts mit Wirkung für die Mitgliedstaaten rechtsverbindlich auszulegen.

Als Folge hiervon ist zu konstatieren, dass Deutschland bzw. der deutsche Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Bestandsmanagements für den Wolf weder EU-rechtlich noch nach deutschem Recht an die Auslegung des Bundesministeriums bzw. des Bundesamts für Naturschutz gebunden sind. Bei der Auslegung durch das Ministerium handelt sich um eine von verschiedenen möglichen Auslegungen, freilich um eine sehr extensive, die Verbindlichkeit für Dritte indes nicht für sich beanspruchen kann."

Diesem Auszug ist nichts hinzuzufügen. Dass sich ein Bundesministerium in seiner Deutungshoheit derart exzessiv über den Inhalt einer EU-Richtlinie hinwegsetzt und der Öffentlichkeit diese eigene Interpretation als rechtsverbindlich darstellt, darf als beispiellos bezeichnet werden.

Es gibt aber zusätzlich noch einen wesentlichen „Geburtsfehler“ in den Regelungen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatschG), der in den vergangenen Jahren regelmäßig dafür gesorgt hat, dass dringend notwendige Entnahmen von Wölfen aus Gründen des Herdenschutzes nicht oder nur wesentlich verzögert vorgenommen werden konnten.

Es ist die Umsetzung des Art. 16 (1) der FFH-RL, der die Ausnahmen vom strengen Schutz einer Art regelt, in das BNatSchG, dort im § 45 (7), hier gegenübergestellt:

Warum man hier die Reihenfolge der Sätze im Art. 16 (1) ändern und die klare Formulierung des Satzes e durch einen schwammigen und nichtssagenden Satz ersetzen musste, erschließt sich dem Leser nicht. Auch die an den Schluss gesetzte Eingangsformulierung darf man als deutlich entstellt bezeichnen.

Es bedurfte aber der rapide zunehmenden Wolfsdichte in Deutschland und des damit einhergehenden katastrophalen Anstiegs an Übergriffen auf Weidetiere, dass man auch in der Politik einsah, dass die Problematik mit der bestehenden Gesetzeslage nicht lösbar war. Was folgte, war mit dem § 45 a BNatschG, ein unter dem Strich dysfunktionaler Versuch, die inhaltlichen Fehler des bestehenden § 45 (7) zumindest für den Wolf zu bereinigen.

Ein Fehlversuch, der auch noch dankbar von klagefreudigen Interessenverbänden aufgenommen wurde, um notwendige Entnahmen von Wölfen zu be- oder möglichst gleich zu verhindern.

Aktuell gibt es keine Entnahmeanordnungen, ohne dass dazu umgehend die zuständigen Verwaltungsgerichte angerufen werden. Es ist eine Situation, die es vor einigen Jahren in Schweden auch gegeben hat. Dort nannte man es schließlich „Gerichtszirkus“. Unsere Nachbarn im Norden haben daraus gelernt und das Problem pragmatisch gelöst. Auch wir sollten daraus lernen.

Es gibt noch ein weiters Handicap, mit dem wir im Zusammenhang mit dem Wolf umzugehen haben: Den in Deutschland zu Recht hoch geschätzten und geschützten Föderalismus. Natur- und Artenschutz sind danach Ländersache. So haben fast alle Bundesländer ihre eigenen Wolfsmanagementpläne und/oder -verordnungen und Herdenschutzrichtlinien. Mit diesen Dokumenten in Papierform ließen sich bequem einige Aktenordner füllen.

Schon eine teilweise Lektüre lässt erkennen, dass die in den Ländern Verantwortlichen den Wolf und besonders den Herdenschutz jeweils für sich neu erfunden haben.

Alleine, den Wolf schert es nicht! Ubi bene ibi patria!

Wo es ihm gefällt, siedelt er sich an und wenn dort Weidetiere das wesentliche Nahrungsangebot darstellen, mit den entsprechenden Folgen. Ein Lernprozess aus dieser Entwicklung ist weder auf Länder- noch Bundesebene erkennbar. Es wird weiterhin die lückenlose Zäunung gepredigt, mit allen Folgen für die übrige Natur und ohne Rücksicht auf Kosten und Arbeitsaufwand für Steuerzahler wie betroffene Weidetierhalter.

Wo es aktuell wie viele Wölfe in Deutschland gibt, wissen wir nicht. Wild kann man nicht zählen. Die 2016 eingerichtete Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) beschränkt sich darauf, die ihr von den Ländern in sehr unterschiedlicher Qualität und Aktualität gelieferten Daten auf ihrer Seite darzustellen. Man beschränkt sich darauf, ausschließlich Zahlen direkt nachgewiesener und an die DBBW gemeldeter Wölfe als Bestand anzugeben. Insbesondere die Darstellung dieser Monitoringdaten zeugt von den Mängeln dieses Konstrukts.

Es ist am Ende das Ergebnis dessen, was die politisch Verantwortlichen in den letzten Jahren ungeachtet einer offenkundig problematischen Entwicklung im Artenschutz geleistet haben. Sie können und wollen nicht zugeben, dass ein Erfolg zum Problem geworden ist.

Wer als Artenschützer nicht zugeben will, dass eine Art nicht mehr gefährdet ist und dadurch andere Artenschutzziele gefährdet, sitzt auf dem falschen Stuhl!

Kann man das Problem lösen? Ja – aber es tut weh!

Einige lange gepflegte Dogmen wird man schleifen müssen.

Was wir brauchen, sind Einsichten

  • Europäische Richtlinien bedürfen in ihrer Übertragung in nationales Recht keiner „Verbesserungen“
  • Nach Art. 1 i befindet sich der Wolf in Deutschland im günstigen Erhaltungszustand. Die ist der EU-Kommission bereits anhand der heute vorliegenden Bestandszahlen zu melden.
  • Großräumig lebende Arten wie der Wolf sind in einem biogeografischen Flickenteppich, wie ihn die FFH-RL zur Feststellung des günstigen Erhaltungszustandes vorsieht, weder zu schützen noch zu managen – da ist die EU gefordert
  • Wölfe sind nicht föderalismustauglich. Natur- und Artenschutz soll Ländersache bleiben, aber bitte mit einheitlichen Regeln und Methoden.
  • Das gilt auch für den Herdenschutz. Wo Übergriffe unter dem vorgesehenen Schutz geschehen, ist ohne Verzug einzugreifen. Entnahmeverfügungen sind nicht auf festzustellende Individuen, sondern auf das jeweilige Rudel/Territorium zu beziehen. Wiederholt oder mit mehreren beteiligten Individuen übergriffige Rudel sollten komplett entnommen werden.
  • Es gibt weltweit keinen Nachweis einer Selbstregulierung des Wolfes in einer mit Mitteleuropa vergleichbaren Kulturlandschaft. Wir sind nun mal nicht in Kanada oder Alaska! Mit Erreichen bzw. Überschreiten des günstigen Erhaltungszustandes sind EU-konform streng reglementierte Bejagungskonzepte zu entwickeln und langfristig in das Jagdrecht zu übernehmen.
  • Dem Beispiel unserer Nachbarländer folgend, sind landesweit und regional Zielbestände des Wolfes festzulegen, die zur Wahrung des günstigen Erhaltungszustandes erforderlich sind.
  • Es ist festzulegen, wo aus Gründen des Küsten- und Hochwasserschutzes, einer schlecht oder nicht schützbaren Weidewirtschaft oder geringer Schalenwilddichte als natürlicher Nahrungsgrundlage die Bildung von Rudelterritorien nicht geduldet werden kann.

Auf dem Weg zu einem pragmatischen Umgang mit dem Wolf in Deutschland sind zuerst die beschriebenen Fehler der Vergangenheit zu bereinigen.

Dann können wir lernen mit dem Wolf zu leben – und der Wolf mit uns!

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