JA WO LAUFEN SIE DENN HIN? 

Zur Wohnungswahl der Wölfe

Schon frühzeitig nach Wiederausbreitung des Wolfsvorkommens nach Deutschland hat man sich mit Vorhersagen befasst, welche Lebensräume denn für Isegrim geeignet seien und später auch, wo für wie viele Wölfe denn Platz sei bei uns im Land und den inzwischen ebenfalls besiedelten Nachbarländern haben könnten.

Die Vorstellung Mitteleuropa würde sich einmal zum Schmelztiegel über mehrere Jahrhunderte voneinander getrennter Subpopulationen des Canis lupus entwickeln, wurden noch vor 10 Jahren als Hirngespinst durchgedrehter Wolfsfans abgetan. Inzwischen werden regelmäßig Individuen der alpinen, in Stamm italienischen, und der dinarischen Stämme in Deutschland und Österreich nicht nur nachgewiesen, sondern haben sich auch fortgepflanzt. Der regelmäßige Austausch zwischen der als politisch zu bezeichnenden „Zentraleuropäischen Subpopulation“ und ihrem Herkunftsgebiet jenseits der Weichsel ist aufgrund fehlender Kooperation mit Polen und nachweisbarer Mängel im Wolfsmonitoring in Brandenburg nur noch selten nachweisbar, aber mit Sicherheit weiter gegeben.

Die Reihe der heute bestenfalls noch aus historischem Interesse lesenswerten „Habitatstudien“ begann mit

  • Hertweck (2006) in BfN-Skript 201 „Leben mit Wölfen“
  • Eggermann (2009) Dissertation „The impact of habitat fragmentation by anthropogenic infrastructures on wolves (Canis lupus)
  • Knauer (2010 unveröffentlicht) Rahmenplan Wolf Kap. 4
  • „Habitatmodellierung und Abschätzung der potenziellen Anzahl von Wolfsterritorien in Deutschland“, veröffentlicht als BfN-Skript 556

und ließe sich bis heute bequem um weitere Werke fortsetzen, die der Wolf in unserer Kulturlandschaft schlicht zur Kaffeesatzleserei degradiert hat.

Warum?

Es befreit die Autoren derartiger Studien von vielen gedanklichen Zwängen, wenn sie sich in ihren Einschätzungen von Nebensächlichkeiten wie dem Vorhandensein natürlicher Beutevorkommen und der gesellschaftlichen, ungeachtet zunehmenden Herdenschutzes, unerträglicher Nutztierschäden befreien. Der inzwischen häufige Anblick von Wölfen in Ortsbereichen und in der Nähe von Kindergärten trägt in der damit konfrontierten Bevölkerung eher zu Unwillen und Ängsten als zur Akzeptanz der Grauen bei.

Zielführend kann es nicht sein, wenn nach über 20 Jahren Rückkehr des Wolfes nach Mitteleuropa eine Studie „Understanding habitat selection of range-expanding populations of large carnivores: 20 years of grey wolves (Canis lupus) recolonizing Germany, Planillo et al, 2023“  publiziert wird, die sich angesichts 2023 anzunehmend ca. 300 von Wölfen in Deutschland besetzter Territorien mit unterschiedlichem Status der Nachweise damit befasst, wie sich eine Stichprobe von 20 besenderten Individuen in ihrer Auswahl zukünftiger Territorien verhalten haben. Hinzu kommt, dass sich diese Tiere fast ausschließlich in den inzwischen angestammten Wolfsgebieten von Sachsen bis in den Ostteil Niedersachsens bewegten. Die Autoren kamen richtigerweise zu dem Schluss, dass Vorhersagen zur möglichen Verteilung der auch in diesem Text postulierten bis zu 1.400 Wolfsterritorien nicht möglich sind. Zwar schränkt man vorsichtig ein, Zitat übersetzt „Die Beutedichte könnte ein limitierender Faktor sein, obwohl wir sie nicht explizit in unsere Modelle einbezogen haben.“ Man sieht sie aber ohne wissenschaftliche Grundlage als gegeben an. Und weiter: „In einer regionalen Analyse der Beutehäufigkeit im Vergleich zur Wolfshäufigkeit konnten wir keinen Einfluss der Wolfsrudelzahl auf die Populationsentwicklung irgendeiner Beuteart feststellen.“ In Sachsen-Anhalt sieht das der Wolfsmonitoringbericht 21/22 völlig anders und lobt die segenreiche Wirkung der Wölfe auf die Reduktion des dortigen Damwildbestandes. Der gewählte Standpunkt steht auch im deutlichen Gegensatz zu Aussagen in der Einleitung, welche die wichtige Rolle großer Raubtiere in Ökosystemen herausstellen sollen und ihre Wiederansiedlung im Rahmen von „rewilding“ für die menschliche Gesellschaft von großem Nutzen sein soll. Der Fall des Grauwolfs biete hierzu ein einzigartiges, aber weitgehend unerforschtes natürliches Experiment, um zu verstehen, wie die Wiederbesiedlungsprozesse von Großraubtieren ablaufen.

Haben sich die Verfasser bei Verwendung dieser Zitate Gedanken darüber gemacht, welche ökologischen und ökonomischen Auswirkungen dieses Experiment in einer mit 236 EW/km² dicht besiedelten und vielfach ge-, wenn nicht übernutzten Kulturlandschaft bereits heute hat?

Anstatt selbstverliebt in das Lohn und Brot sichernde Forschungsobjekt Publikationen zu veröffentlichen, die nach eigener Feststellung zu keinem greifbaren Ergebnis kommen, wäre es an der Zeit, sich mit der dringend erforderlichen Verhaltensänderung der Wölfe in Bezug auf ihr Beutespektrum und ihre Scheu zu befassen. Auch sollten die Kenntnisse der Verfasser dazu ausreichen, dem Bundesumweltministerium zu erklären, warum und bei welchem Bestand der Wolf den seit mehreren Jahren zweifelsfrei bestehenden günstigen Erhaltungszustand erreicht hat.

Aber wer sägt schon gern am Ast auf dem er sitzt? Irgendwann werden es andere tun.

In der Lausitz leben übrigens mehr Menschen als in Yellowstone, aber inzwischen auch mehr Wölfe.

Diese Wölfe kommen als Habitatgeneralisten auch, so titelte der Berliner Tagesspiegel zur zitierten Arbeit, durchaus mit B-Lagen für ihre Territorien aus. Das aber ist vielerorts mit erheblichen Kollateralschäden verbunden, wenn man sich die Schadensbilanzen der Territorien am Rande der Großstädte und Ballungszentren betrachtet. Als Beispiele seien hier die Rudel Burgdorf bei Hannover und Schermbeck am Nordrand des Ruhrgebietes genannt. Das Geschwisterpaar in Schermbeck ist dabei ein gutes Beispiel für die Flexibilität der Wölfe bei der Habitatwahl. Sie stammen aus Schneverdingen in der Lüneburger Heide. Sie mögen es etwas belebter als ihre beiden Brüder die es in den Schwarzwald zog. Ihnen ist aber gemeinsam, dass Schaf to go zum gehobenen Lebensstil eines Wolfes gehört. Weitere Nachkommen des Rudels blieben in der Heimat und siedelten sich in den Nachbarterritorien an. Sie sind in den letzten vier Jahren auch nicht bei Nutztierrissen nachgewiesen worden.

Es ließen sich reichlich weitere Beispiele zur Vielseitigkeit der Grauen bei ihrer Wohnungssuche aufführen, wobei sich solche Daten für Deutschland nicht flächendeckend ermitteln lassen, weil man ausgerechnet in Brandenburg, dem Bundesland mit der seit Jahren höchsten Zahl an Wolfsterritorien von einem belastbaren Monitoring nur wenig zu halten scheint. Nur so lässt sich erklären, dass dort in 39 % der erfolgreichen Verpaarungen kein Elterntier genetisch erfasst wurde. Dieser Anteil ist mehr als dreimal so hoch wie im Rest von Deutschland zusammen mit unseren Nachbarländern (B/DK/NL), die ein ernsthaftes Monitoring betreiben (12 %). Dort sind umgekehrt bei 75 % beide Elterntiere genetisch erfasst. In Brandenburg sind es 49 %. Wer also bei Wölfen mit unbekannter Herkunft von Zuwanderern aus dem Ausland ausgeht, sollte eher fragen:

„Wo kommen sie den her? Im Zweifel aus Brandenburg!"

Es kann nicht sein, dass in Territorien wie z.B. Görzke oder Forst Hohenbucko über sieben Jahre regelmäßig Reproduktionen bestätigt werden, aber in dieser Zeit kein einziges Elterntier genetisch erfasst wird. Liegt dort das Monitoring in den richtigen Händen?

All das ist ohne großen Aufwand und ohne Anspruch auf Vollständigkeit aus den veröffentlichten Daten der DBBW zu entnehmen. Vor allem ist daraus aber abzulesen, welche Mängel im Monitoring eines inzwischen ausufernden Wolfsbestandes in wesentlichen Teilen unseres Landes bestehen.

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